Der Fall Tiedge –
Wie Ex-Stasi Kader die DDR-Geschichte umschreiben
Autor: Mike Lingenfelser
Verurteilt zu sechs Jahren Haft im berüchtigten Stasi-Knast "Roter Ochse" in Halle. Wolfgang Stiehl musste hier seine besten Jugendjahre verbringen. Nur, weil er kritisch über die DDR-Diktatur dachte.
Wolfgang Stiehl, Vereinigung der Opfer des Stalinismus: "Ich habe das ganze als Psychoterror empfunden, nämlich 16 Stunden am Tage völlig beschäftigungslos, total isoliert, nachts Verhöre, die sich dann wiederholten, wenn man nicht so geständig war wie die Brüder das wollten. Und das alles für einige mitgebrachte satirische Zeitschriften aus Westberlin und das Hören von ‚Feindsendern’ – wie es so schön hieß – nämlich den Rias und den Nordwestdeutschen Rundfunk."
Heute hilft Wolfgang Stiehl als Sprecher der Opfer des Stalinismus das DDR-Unrecht aufzuarbeiten: Normalerweise tut er dies als Ratsmitglied der Gedenkstättenstiftung von Sachsen-Anhalt. Doch seit kurzem hat er seine Mitarbeit in den Gedenkstätten des Landes ausgesetzt. Aus Protest. Denn neuerdings ist auch sie im Stiftungsrat der Landesgedenkstätten: Die Landtagsabgeordnete der Linken Gudrun Tiedge. Ein ehemaliger Stasispitzel, Deckname IM „Rosemarie“. Der sachsen-anhaltinische Landtag hat sie einstimmig in die Stiftung gewählt. Die einstige DDR-Staatsanwältin hat an Strafverfahren gegen Republikflüchtlinge mitgewirkt. Ausgerechnet sie ist jetzt zuständig für das Gedenken und die Aufarbeitung der DDR-Diktatur.
Gudrun Tiedge, Die Linke, Landtagsabgeordnete Sachsen-Anhalt: "Ich finde, da gehört es auch dazu, dass Menschen die Verantwortung getragen haben in der DDR, auch zu ihrer Verantwortung stehen, auch bei dieser Aufarbeitung mitarbeiten dürfen."
Wolfgang Stiehl, Vereinigung der Opfer des Stalinismus: "Es ist für uns ein Schlag ins Gesicht, wenn Leute, die uns verurteilt haben, heute die Geschichte interpretieren wollen. Das ist moralisch nicht haltbar. Das widerspricht jeglicher Moral und wir müssen befürchten, dass viele Dinge, die sich in der Diktatur ereignet haben, versucht werden, unter den Teppich zu kehren."
report MÜNCHEN liegt die Stasiakte von Gudrun Tiedge vor. In jungen Jahren bespitzelte sie Mitschüler und Studenten. Unter dem „Decknamen“ „Rosemarie Lehmann“. Beispielsweise berichtet sie über eine Mitschülerin, die heimlich „Westfernsehen“ sieht und „abfällig über den Staatsbürgerkundeunterricht“ redet. Sie beschwert sich über einen Schulkameraden dessen „politische Haltung nicht befriedigend“ sei: „Oft vertrete dieser eine „völlig falsche Meinung“. Eine „völlig falsche Meinung“ hatten für Tiedge damals Jugendliche, die den SED-Unrechtsstaat satt hatten. Solche Kritiker verfolgt sie nach ihrer inoffiziellen Stasi-Mitarbeit dann als DDR-Jugendstaatsanwältin. report MÜNCHEN liegen erstmals Opferberichte von DDR-Flüchtlingen vor, die Tiedges Mitwirkung an solchen Strafverfahren beweisen. Sie selbst bezeichnet ihre frühere IM-Tätigkeit und späteren Verfahren zur Republikflucht heute als Fehler, aber sie steht dazu.
report MÜNCHEN: "Dass Sie damals Staatsanwältin waren, bereuen Sie das heute?"
Gudrun Tiedge, Die Linke, Landtagsabgeordnete Sachsen-Anhalt: "Nein, bereue ich nicht. Es war mein Wunschberuf. Und fragen Sie einen Staatsanwalt in BRD, ob er es bereut, dass er Staatsanwalt geworden ist. Ich habe – ich sag’ mal – zum größten Teil die gleichen Arbeiten gemacht wie ein Staatsanwalt in der alten Bundesrepublik."
Warum hat der Landtag in Sachsen-Anhalt eine ehemalige IM einstimmig in die Gedenkstättenstiftung gewählt? Und das obwohl der gleiche Landtag 1998 Gudrun Tiedge eben wegen ihrer Stasi-Vergangenheit abgewählt hatte von ihrem damaligen Vorsitz des Innenausschusses. Man hielt sie also schon einmal für ungeeignet, ein sensibles Amt zu repräsentieren. Doch trotz dieser genauen Kenntnis ihrer Biografie soll sie nun über die Aufarbeitung der DDD-Diktatur wachen. Eine peinliche Panne?
Jürgen Scharf, CDU, Fraktionsvorsitzender: "Ja, das ist ein ärgerlicher Vorgang: Wir haben als Abgeordnete im Landtag von Sachsen-Anhalt eine routinemäßige Personalentscheidung offensichtlich zu sehr als Routine behandelt und dieses mangelnde Nachdenken holt uns jetzt ein und wir müssen jetzt mit dieser Situation umgehen."
Norbert Bischoff, SPD, Parlamentarischer Geschäftsführer: "Klar, jetzt im Nachhinein hätten wir vielleicht gesagt, da hätten wir vielleicht doch intensivere Gespräche führen müssen, auch mit den Linken und vielleicht hätte das auch zu einem anderen Ergebnis geführt, aber das haben wir uns, haben wir damals nicht dran gedacht."
Gut gelaufen für Gudrun Tiedge. Sie und die Linke Fraktion denken auch gar nicht daran, freiwillig zurückzutreten. Einen Vorgeschmack auf Tiedges künftiges Mitwirken in der Aufarbeitung der DDR-Diktatur bietet ein aktuelles Beispiel aus der Gedenkstätte des Stasiknastes „Roter Ochse“. Hier sind neuerdings die Namen der hauptamtlichen Stasi-Verhöroffiziere veröffentlicht worden. Es ist die Sorte von Stasi-Tätern, unter denen auch der politische Häftling Wolfgang Stiehl leiden musste. Die ehemaligen Stasi-Leute wehren sich gegen die Veröffentlichung mit einer „Erklärung“. Sie verhöhnen darin die Stasi-Opfer, denn sie fordern allen Ernstes: „Schluss mit den Lügen, (Halbwahrheiten und Verdrehungen) über die DDR“ und sprechen von „Geschichtsklitterung in den so genannten Stasi-Gedenkstätten“.
Wolfgang Stiehl, Opfer: "Diese Leute, die heute von sich behaupten, sie hätten nur nach Recht und Gesetz gehandelt, haben die Menschen mit ihrem Psychoterror zerbrochen. Sie haben ihnen Schäden zugefügt, die sie überhaupt nicht einschätzen können."
Die Stasi-Täter bekommen Schützenhilfe von ihrer neuen Interessenvertreterin im Gedenkstättenstiftungsrat.
Gudrun Tiedge, Landtagsabgeordnete, Linke: "Das ist so eine zur Schau-Stellung von Menschen. Und da bin ich mir nicht sicher, ob das dazu beitragen wird, das Klima zu verbessern."
Hubertus Knabe, Stasi-Experte: "Das zeigt ihre Einstellung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, sie stellt sich damit gegen das Stasi-Unterlagengesetz wo eine solche Veröffentlichung ausdrücklich genehmigt ist. Und das ist ein besorgniserregendes Anzeichen dafür, welches Selbstverständnis sie von ihrer Arbeit dort in der Stiftung hat."
Der Landtag in Sachsen-Anhalt könnte die Personalie Tiedge vermutlich rückgängig machen: Durch Abwahl, wie schon einmal. Aber bisher ist wenig passiert.
Wolfgang Stiehl, Opfer: "Der Landtag muss unserer Meinung nach tätig werden, denn wir haben so ein bisschen das Gefühl, dass darauf gehofft wird, die Opferverbände werden schon irgendwann klein beigeben und einfach weiter klaglos mitarbeiten und genau das können wir nicht!"
(Bayerischer Rundfunk,report MÜNCHEN,Sendung vom 03.10.2007)
Das darf doch wohl nicht wahr sein ! Wie weit reicht die Macht der Stasi
eigentlich heute noch ?
BGS